Mittagessen ist vorbei

Es ist Winter und dementsprechend gab es Fliedersuppe mit Apfelspelken und Grießklößchen, mhmmm. Ich liebe es, wenn meine Mutter diese Suppe kocht. Ein leicht herber Geschmack des Fliedersaftes (bei uns nennt man den Holundersaft so), kombiniert mit der kräftigen Schlehe, ein wenig Rhabarber und gesüßt mit Honig – ach. Und dann diese luftigen, leichten Grießklösschen, aussen ganz dunkelrot von der Suppe, und wenn man mit dem Löffel etwas abnimmt, ein zarter Hellelfenbeinton mit kleinen hellbraunen Kleieeinsprengseln ! Oben auf der Suppe schwimmen Apfelspelken, zart angedünstete Spalten unserer herrlichen Herbstäpfel – was für ein Genuss! Selbst die Kinder – normalerweise gute Suppenverweigerer - werden bei Fliedersuppe schwach. Für mich kommen schöne Kindheitserinnerungen hoch – meine Brüder und ich, mit roten Backen und kalten Fingern von draussen setzen uns an den Tisch und futtern drauf los.

Den Salat hätten wir aber auch verweigert. Den gab es heute mit Basilikumvinaigrette, zart abgerundet mit etwas Apfelsaft und dazu geröstete Sonnenblumenkerne, sehr lecker. Eigentlich war ich da schon ganz schön satt – aber der Brotaufstrich, liebliches Erbsenpurée mit Kardamom und Koriander hat mich dann noch zu einem frischen Vollkornbrot mit demselben verführt. Jetzt koche ich mir noch einen schönen warmen Tee. 

Die Teeküche im Neubau steht allen Gästen jederzeit kostenlos zur Verfügung. Und mir glücklicherweise auch. Also, los, der grünen Tee wartet. Während des Wartens auf das Wasser, das kochen soll, vielleicht noch ein Schwätzchen mit anderen Gästen. Draussen weht der Wind und bringt uns kalte, regnerische Luft herbei. Dann ist es in unserem Glashaus immer besonders schön. Das Glashaus bildet die Verbindung zwischen dem Altbau, der die Schlafzimmer beherbergt und dem Neubau für Küche, Teeküche, Spielzimmer und Tagungsraum. Dadurch gibt es an einer Seite ein altes Haus und seine Aussenwand und an der Gegenüberliegenden eine moderne Aussenwand. Aber dazwischen sind zwei bodenlange Glaswände mit dicken Holzbalken von bezaubernder Schönheit. 

Eigentlich liebe ich diesen Raum bei jedem Wetter. Aber bei kaltem, regnerischem besonders. Im Warmen sitzen, mich aber fast draussen fühlen..... An der Seite zum Tal sehe ich auf Wiesen und den dahinter liegenden Waldsaum. Vor dieser Kulisse schwebt der Regen mal in sanften Wölkchen, wird manchmal hin und her gepeitscht, um sich dann wieder unter einem Regenbogen zu verabschieden. Und wenn dann die Sonne ihre Strahlen wieder auf die Erde senkt, Sonnenflecken auf der Wiese macht oder eine sonnenbeschienene Linie auf dem gegenüberliegenden Waldsaum bildet, geht ein warmes Seufzen durch mein Herz, dann bin ich zu Hause. 

Auf der anderen Seite liegt der von Mutter liebevoll gepflegte Vorgarten im Winterschlaf. Sie hat gelesen, dass es für die Pflanzen besser ist, wenn sie erst im Frühjahr von ihrem trockenen Gestrüpp befreit werden, und fragt sich nun täglich, ob ihr das nicht zu unordentlich aussieht und sie es nicht doch eher abschneiden soll. Für mich ist dieser Garten ein Versprechen. Ein immer wieder sich erneuerndes Versprechen immerwährender Schönheit. Jetzt schauen schon Schneeglöckchen aus der Erde, bald werden die ersten gelben Winterlinge sich zeigen und im Sommer wird es blühen, summen, voller Überschwang werden die Blumen sich vor uns in aller Schönheit im Sommerwind wiegen. Im Gedanken an all dies ziehe ich mich jetzt warm an und gehe los, dem Winterwind entgegen, damit ich auch heute noch rote Backen bekomme.

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