"Der letzte Zivilist" von Ernst Gläser

Ein entsetzlich gutes Buch. Es ist mir mal wieder zugelaufen. Tauchte auf einmal auf - in unserem Bücherregal. Auf dem Cover ist ein zerrissenes Hakenkreuz, ein eher schweres Titelbild. Ich habe es angeschaut und gedacht „wieder einmal schwere Kost“. Legte es beiseite um bei Gelegenheit hineinzuschauen.

Immer wieder fiel es mir in die Hände– manche Bücher laufen mir nach wie ein junger Hund. Und endlich gab ich nach. Zum Glück!

Es behandelt die Zeit bis zur der Machtergreifung Hitlers. Nie habe ich verstanden, wie dieser kleine, quiekend schreiende Mensch als charismatisch beschrieben werden konnte, wie eine derartig dumpfe Bewegung so viele Menschen erfassen konnte. Es ging ihnen schlecht, ja, wußte ich. Es waren viele Frauen, die ihn wählten, ja, wußte ich. Aber verstehen konnte ich es nicht.

Dieses Buch, mit so viel Liebe für Deutschland geschrieben, so nah am einzelnen Menschen hat sie mir nahegebracht, diese Generation. Wenn die Mutter von Hans so sehr dem schneidigen Parteimitglied verfällt, dass sogar ihr eigener Sohn ihr egal ist. Wenn Gerhard Träger, ein Buchautor mit dem feinsinnigen Hans eine Beziehung eingeht, die das Leuchten der neuen Bewegung in sich trägt, wenn die Hure Maria neue Hoffnung findet, wenn Menschen, durch Krieg, Hunger, Rezession gequält wieder Mut gewinnen, dann verstehe ich auf einmal Sätze wie „Das deutsche Volk braucht keine Vernunft, es braucht nur den Glauben.“

Natürlich hat unser Protagonist Hans Zweifel, die andere Hauptperson, Johann Kaspar Bäuerle - ein überzeugter Demokrat - sowieso, und so entwickelt sich ein Roman, der gleichzeitig eine innere wie eine äußere Entwicklung aufzeigt. Johann Kaspar Bäuerle kommt als Millionär aus Amerika nach Deutschland zurück, um der deutschen Demokratie zu helfen und sich wieder ein deutsches Leben aufzubauen. Er kauft sich ein Gut und versucht, seine Heimatstadt Siebenwasser zu fördern.

Ein absolut lesenswertes Buch, das mich trotz des schweren Themas mit Freude erfüllt hat, weil einer, der die Menschen liebt, es geschrieben hat.

Ernst Gäser gehört zu den verbrannten Autoren. Er ist ausgewandert in die Schweiz und 1939 wieder nach Deutschland zurückgekommen, um dort sogar für faschistische Zeitungen im Osten zu schreiben. Wie jemand, der so ein Buch geschrieben hat, das machen konnte, ist mir ein Rätsel. Ich werde mal Bücher von ihm aus der Nachkriegszeit suchen, vielleicht verstehe ich dann mehr. Trotzdem, dies Buch ist wunderbar. Leider ist es nur noch antiquarisch zu bekommen, aber das lohnt sich. Wer es hier lesen möchte, kann mich gerne ansprechen, ich werde es bei mir aufbewahren, da es nicht so einfach zu bekommen ist und auch schon etwas zerfleddert ist.