Teil 6: Das Fest

Der Sommer ging dem Ende zu und Anneliese wurde größer und war nun fast ein ausgewachsenes Reh. Griesgram war nicht der letzte Wolf gewesen, der die Göhrde erreicht hatte, sondern es waren noch ein weiterer gekommen, die sich eine neue Heimat im großen Walde gesucht hatten. Und so hatte sich der Wald wieder an die Gegenwart von Wölfen gewöhnt. Nicht alle waren darüber so beglückt wie Anneliese, aber es war einfach normal geworden, dass auch die Wölfe hier zuhause waren. Anneliese hatte sich immer weiter in den Wald hinein getraut, je größer sie geworden war und kannte die Göhrde mittlerweile recht gut. Sie wusste, wo die leckersten Kräuter zu finden waren, sie wusste, wo es sich gut spielen ließ und da sie immer neugierig war, kannte sie unglaublich viele Tiere des Waldes. Es war ein glücklicher Sommer gewesen, dieser erste Sommer ihres Lebens. Und es war auch ein glücklicher Sommer für die Göhrde gewesen, denn Anneliese hatte eine neue Stimmung in den Wald gebracht. Ein Wald, in dem ein grünes Reh lebte, war ein Wunder – in solch einem Wald konnte alles mögliche geschehen. Und so hatten sich Tiere, die lange nicht miteinander geredet hatten wieder versöhnt, andere, die sich immer mißtraut hatten lernten sich kennen und kamen sich näher, kurz und gut, es war als hätte Anneliese die Sonne in den Wald gebracht mit ihrer Herzenswärme.

Und so beschlossen die Tiere am Tag der Tag- und Nachtgleiche ein Sommerabschiedsfest zu feiern und sich gemeinsam zu freuen. Désirée, die kleine Fee freute sich sehr. Feen werden sehr alt und sie war eine der ältesten, die sich noch an rauschende Feste zur Tag- und Nachtgleiche, am Ende des Sommers erinnerte. Immer noch war es üblich, dass an den vier grossen Tagen des Jahres, der Mittsommernacht, den beiden Tag- und Nachtgleichen und der kürzesten Nacht des Jahres alle Tiere Frieden einhielten. Diese Nächte waren ihnen heilig und da herrschte Frieden im Wald. Aber Feste, daran konnte sich kein Tier erinnern. „Ach, es war herrlich !“ schwärmte Désirée Anneliese vor. Ganz früher haben sogar die Menschen mitgemacht. Wolf und Reh haben gemeinsam getanzt, wir haben gelacht, gesungen, gespielt,....“

„Oh ja, Désirée, so wollen wir es machen, das hört sich entzückend an.“ Was hältst du von der Lichtung, auf der Ranunkel und ich immer spielen?“ Und so bereiteten sie das Fest vor. Die Wildsau Edelgard bereitete Tänze vor, die einfach zu lernen waren und machte sich Gedanken dazu, wie wer tanzen konnte, schließlich ging es ja nicht, dass die Mäuse zwischen der Hufen der Schweine rumliefen und aus Versehen zertreten wurden. Ombol, der Uhu hatte sich eine Truppe von Musikern zusammengestellt und übte täglich, damit zum Festtage die Musik auch harmonisch und klar erklingen konnte. Und die Mäuse kümmerten sich um das Buffet. An diesem Tage waren ja auch die Wölfe und Füchse Vegetarier, aber Blätter fraßen die nun auch nicht. Deshalb mausten sie bei den Menschen Käse und Brot, etwas, was auch Fleischfresser durchaus appetitlich fanden. Und endlich war der große Tag gekommen. Aufgeregtes Schwatzen hallte über die Lichtung, die Rehe, Hasen, Füchse, Mäuse waren schon da. Da breitete sich auf einmal Stille aus. Griesgram und seine Artgenossin waren angekommen. Ranunkel faßte sich als erster ein Herz und ging auf die beiden zu um sie zu begrüßen. „Herzlich willkommen, Griesgram. Und ein herzliches Willkommen auch Dir.“ sagte er. „Dir das Gleiche.“ knurrte Griesgram vor sich hin und setzte sich würdevoll an den Rand. „Ich weiß ja nicht so recht, ob Ihr Euch wirklich freut, uns hier zu haben, aber sei’s drum, los werdet Ihr uns nicht mehr. Uns gefällt es hier. Gute Jagdgründe.“ Ein Raunen ging durch die Tiermenge. Die Tiere waren sich nicht sicher, ob nicht vielleicht doch sie auf der Speisekarte standen und fühlten sich etwas unsicher. „Griesgram, erschrecke die anderen doch nicht so. Wir freuen uns wirklich, dass Ihr hier seid.“ sagte Anneliese. „Komm, wir wollen ein Tänzchen wagen, Ombol, könnt Ihr bitte ein Lied spielen ?“ Und die Tierband fetzte los. Klasse war die Musik, die sie geübt hatten, schnelle Walzer, flotte Popsongs, langsame Liebeslieder, für jeden Geschmack etwas. Und nach dem etwas ungemütlichen Beginn wurde es schnell wieder laut und lustig. Und als der Abend spät wurde saßen alle beisammen und lauschten den Geschichten der Feen über vergangene Feste und die Zeit, in der diese Feste normal gewesen waren. Anneliese hatte sich an Griesgram gekuschelt und sogar Ranunkel lag gemütlich zwischen den beiden. Désirée erzählte : „Wisst Ihr, es ist schade, dass die Menschen uns so vergessen haben. Sie wissen nichts mehr von den Kreisläufen der Natur. Und wir haben es Ihnen gleich getan. Wir gehören zusammen, alle Bewohner des Waldes, egal was wir tun, wen oder was wir fressen, zusammen sind wir der Wald und das sollte uns mit Freude und Stolz erfüllen.

Jede von uns hat Ihren Platz, hier im Walde. Und wenn wir diese Feste feiern, dann fühlen wir das wieder, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch die Menschen gehören dazu, selbst wenn Sie uns und auch sich selbst vergessen haben, früher haben sie uns geehrt an diesen Tagen, haben mit uns gefeiert und wir bekamen das Festessen als Geschenk und Zeichen Ihrer Freundschaft und Ehrerbietung.“ Nachdenklich hörten die Tiere zu und in Ihren Herzen wuchs Freude, Freude, dass sie es geschafft hatten, dieses Fest zu feiern. Freude, dass sie eine Veränderung spürten, die für alle wunderbar sein konnte. Und nachdenklich und von Glück erfüllt gingen sie nach Hause.