Wolfsfreundschaft

Eine kleine Geschichte für Kinder - erzählt von Barbara Kenner ...

Teil 10: Griesgrams Wanderschaft

Ein paar Tage später traf sie Ihren Freund Griesgram. 
„Oh, wie gut, dass du gekommen bist. Griesgram, ich möchte auf Wanderschaft gehen.“
„Wanderschaft – Anneliese, du bist doch ein sehr ungewöhnliches Reh!“
„Na, wenn Du das jetzt erst merkst, mein knurriger Freund!“
„Wo willst du denn hin ?“
Tja, wenn ich dass so wüßte – ich kenne mich doch so wenig aus in der Welt und da wollte ich Dich fragen, wie das bei Dir war.“
Griesgram legte sich bequem ins Gras und Anneliese kuschelte sich an seine Seite. 
„Ich bin weit, weit weg geboren, in einem Land, in dem es viele Wölfe gibt. Es war eine schöne Zeit mit meinem Rudel, vergnügt tobten wir durch die Gegend und balgten uns, spielten miteinander und teilten das Fressen. In meinem Wurf waren 5 Welpen und ich war der Größte und Stärkste. Unser Wald war wild und voller Futter – äh....“
Anneliese schaute ihn zweifelnd an, der große graue Wolf erzählte einfach weiter: „Ich war gerne Zuhause und ich lernte zu jagen, auch zu hungern, mein erster Winter war furchtbar kalt und es gab lange Zeit nicht genug zu fressen. In der Zeit sind drei von uns gestorben, mein jüngster Bruder, der noch nicht kräftig genug für so eine Hungerkur war und zwei meiner älteren Geschwister, die nicht schnell genug für die Jagd waren und denen die Kälte einfach zuviel war. Aber auch dieser Winter wurde von einem Frühling gefolgt, wie er schöner nicht hätte sein können und ich war wieder glücklich, frass mir einen kleinen Bauch an und lag viel in der Sonne. Mein zweiter Sommer war wundervoll, ich war noch immer ein Teil unseres Rudels, durfte mit den Großen laufen, rennen, spielen, jagen. Und der darauffolgende Winter war weniger schwer, so dass wir sehr gut durch den Winter kamen und  ich immer kräftiger wurde. Dann wurde ich leider groß genug, dass die Zeit fürs Abschied nehmen gekommen war. Und ich streifte alleine durch die Lande, fühlte mich etwas einsam, aber auch stark und schön. Bis eines Tages diese Träume begannen. Immer wieder hatte ich den gleichen Traum – von einem fremden Wald, weit, weit weg, mit Buchen, Fichten und Eichen, mit sanften Hügeln, mitten in einem mir sehr fremden Land. Und nach einer Weile wurde ich so unruhig, dass ich mich auf den Weg machte und die hohen Berge meiner Kindheit hinter mir ließ. Auch das war eine gute Zeit. Weißt du, als ich klein war kannte ich keine Menschen, bei uns gab es nur Tiere. Natürlich hatte ich Geschichten gehört davon, wie gefährlich und böse Menschen sind, aber ich hatte keine gesehen. Und der erste Mensch, dem ich begegnete wäre auch beinahe mein Ende gewesen. 
Ich war schon lange gelaufen und hatte ziemlich viel Hunger, als mir einige weiße wollige Tiere, die sehr appetitlich rochen über den Weg liefen. Sie waren auch nicht besonders schnell und so schnappte ich mir eins. Was übrigens sehr lecker war.“
Anneliese verzog ihre Nase. „könntest Du diesen Teil etwas abkürzen ?“
„Du bist aber empfindlich ! Na also, ich war also beim Fressen, als plötzlich ein großes lautes Ungeheuer kam, neben mir stoppte und zwei Menschen ausspuckte. Diese beiden hatten etwas langes, glitzerndes dabei, das Sie auf mich richteten. Ich lief natürlich sofort weg, aber dann gab es einen lauten Knall, das Ding blitzte und mir tat der Rücken schrecklich weh. Ganz schnell lief ich, so schnell ich konnte und so lange ich konnte. Dann brach ich an einer Höhle zusammen und schlief vor Erschöpfung ein. Heute weiss ich, dass das damals ein Gewehr war und dass es Tiere töten kann. Und ich hatte Glück, dass es mich nicht richtig getroffen hatte, denn ich erholte mich schnell und auch meine Wunde verheilte schnell. Aber seitdem bin ich vorsichtiger und ich jage lieber Wildtiere, denn auch das habe ich gelernt, Menschen halten leckere Tiere, aber sie wollen sie alleine essen.“
Anneliese war ein wenig erschrocken. Meinst Du, sie würden mich auch jagen ? Ich habe eine Menschenfreundin, die ist sehr nett und würde mich nie jagen. Aber sie hat auch gesagt, dass das nicht so einfach für mich ist. Sie hat auch gesagt, dass die Menschen gerne Rehe essen.“
„Seltsam, die sehen gar nicht so aus, als wären ihre Zähne scharf genug. Eigentlich sehen sie für unsereinen eher harmlos aus, bis auf die Gewehre.“
„Meine Menschenfreundin ist auch sehr nett, sie hat mir im Winter immer ein wenig Futter gebracht.“
„So was, eine Menschenfreundin, so weit kommt das noch. Hast Du denn gar kein Benehmen ? Wildtiere sind nicht mit Menschen befreundet !“
„Na ja, Wildtiere sind auch nicht grün !“