Wolfsfreundschaft

Eine kleine Geschichte für Kinder - erzählt von Barbara Kenner ...

Teil 4: Wolfspfade

Am anderen Tag besuchte sie Ihren Freund, den Hasen Ranunkel. Nachdem sie ihm erzählt hatte von ihrem Abenteuer war Ranunkel sehr erschrocken. Und auch die anderen Tiere waren entsetzt. Ein Wolf in ihrem Wald. Wo doch immer alles so schön friedlich gewesen war – wenn man mal von den Menschen absieht. 

Und so gab es viel Angst und viel aufgeregtes Gerede unter den Tieren. Seit mehr als 100 Jahren hatte es keine Wölfe mehr gegeben und selbst die ältesten unter ihnen erinnerten sich nicht mehr, wie es war, als die Wölfe noch in der Göhrde waren.
Und die Angst griff um sich, alle überlegten, wie sie sich schützen könnten vor dem bösen Wolf.
Anneliese aber traf sich immer wieder mit Ihrem Freund, dem Wolf mit Namen Griesgram.
„Du, Griesgram, wo kommst Du eigentlich her ? Und wie hast Du den Weg in unseren Wald gefunden ?“

„Ach, es gibt ganz alte Wolfspfade, die wir immer wieder gehen müssen. Irgendwann überkommt uns die Lust, zu wandern. Und dann müssen wir los, in die Welt, neue Wälder sehen, andere Länder kennen lernen. Und wir alle haben es im Blut, wo die Wolfspfade sind. Das sind Pfade, die schon seit Ewigkeiten von Wölfen benutzt werden, die schon unsere Urgroßeltern gewandert sind und die immer wieder von Wölfen erwandert werden. Ich habe eines Tages gespürt, dass ich unruhig wurde, dass ich zuhause nicht mehr glücklich war. Ich wollte neue Erfahrungen machen, die Welt sehen, einfach mehr wissen über die Welt. Und so bin ich losgezogen. Teilweise war das ganz schön gefährlich – die Menschen, sie mögen keine Wölfe, sie haben soviel Angst vor uns, dass sie versuchen, jeden Wolf zu töten, der ihnen zu nahe kommt. Und ich bin durch Gebiete gekommen wo sehr viele Menschen wohnen. Aber ich hatte auch sehr schöne Erlebnisse, wunderbare Wälder habe ich gesehen und weißt Du, was ich ganz besonders schön fand ? Ich bin abends durch die Elbe geschwommen. Noch nie bin ich durch einen derart riesigen Fluss geschwommen. Und über dem Wasser stand der Vollmond und wies mir den Weg. Danach hatte ich sehr bald noch ein wundervolles Erlebnis. Ich begegnete meiner ersten Freundin, seit ich auf Wanderschaft ging, einem kleinen, frechen,  grünen Reh.“

„Ach, Griesgram, ich hab‘ Dich auch lieb!“ sagte Anneliese. Und sie rollte sich auf dem Waldboden zusammen, dicht an Griesgrams Seite und dachte nach über das, was sie gerade gehört hatte. Eine lange Reise, fremde Gegenden, darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Ob das nicht auch für Rehe ganz schön wäre ? Aber sie hatte noch nie von einem Reh auf Wanderschaft gehört.