Wolfsfreundschaft

Eine kleine Geschichte für Kinder - erzählt von Barbara Kenner ...

Teil 7: Schneefreundin

Der Winter wurde schwierig und kalt für alle. Lange lag der Schnee und das erste Mal in Ihrem Leben lernte Anneliese den Hunger kennen. Mühselig musste sie mit Ihren Hufen den Schnee beiseite scharren um ein wenig Moos oder Flechten zu finden. Und sie musste sich viel und gut verstecken, denn leuchtend grün war zwar im Sommer eine gute Tarnfarbe, aber im Schnee sah es doch eher wie eine Leuchtreklame aus und sie konnte weithin gesehen werden.

Und so kam es dann auch, eines Tages, sie war gerade dabei auf einem Feld etwas ausserhalb des Waldes zu scharren, hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Und als sie aufsah, stand da ein kleines Kind. Ein Mädchen in einem grünen Mantel, das ganz alleine am Wegesrand stand und fasziniert herübersah. Nun war Anneliese eigentlich immer eher neugierig als vorsichtig gewesen und so lief sie auch diesmal nicht einfach weg, sondern sah vorsichtig zu dem Mädchen hin. Eine ganze lange Weile standen die beiden da und rührten sich nicht, ein junges grünes Reh im verschneiten Feld und ein kleines grünes Mädchen vor der verschneiten Hecke. Sie sahen sich einfach in die Augen. Dann hob das Mädchen sehr vorsichtig die Hand und hielt sie ausgestreckt vor sich hin, so wie sie das schon viele Male mit anderen Tieren gemacht hatte, damit diese schnuppern und sie kennenlernen konnten. Anneliese rührte sich nicht, sie sah einfach nur hin. Doch als das Mädchen dann einen Schritt auf sie zu machte, versteckte sie sich schnell im Wald. Und aus ihrem Versteck schaute sie noch eine ganze Weile zu, wie das Mädchen sich suchend umblickte und dann doch weiterging.

Einen kleinen Schrecken hatte sie ja bekommen, aber sie war auch neugierig und so kam sie am näxten Tag wieder zu der Stelle zurück – dort wuchsen aber auch sehr leckere Getreidehälmchen unter dem Schnee. Und nachdem sie eine Weile gescharrt und gefressen hatte, kam das Mädchen wieder. Dieses Mal lief Anneliese nicht weg, sie kam sogar etwas  näher an das Mädchen heran. Das Mädchen hatte etwas seltsames in der Hand, es sah aus wie große grüne Blätter, was ihr da hingehalten wurde. Aber ganz traute sie sich nicht heran, und so legte das Mädchen die Blätter vorsichtig auf den Boden und ging ein paar Schritte zurück. Jetzt hatte Anneliese Platz und Mut genug und näherte sich den Blättern. Köstlich, wie die rochen. Ein zartes Häppchen konnte doch nicht schaden – und sie schmeckten auch genauso gut wie sie rochen, zart, knackig, superlecker für ein sehr hungriges junges Reh auf Winterfuttersuche. Und so knabberte sie genüßlich alles auf, während das Mädchen lächelnd zusah.

Dies wiederholte sich nun jeden Tag – das Mädchen kam, brachte Futter und Anneliese fraß sich satt. Am Ende der Woche fühlte sich Anneliese doch sehr mutig und sie kam vorsichtig näher auf das Mädchen zu, dass ihr eine Hand hinhielt. Den Geruch kannte sie ja jetzt schon von dem Salat. Und deshalb roch das Mädchen auch sehr gut für Anneliese. Zart stupste sie die Hand des Mädchens an und das Mädchen lächelte glücklich.
In diesem Winter musste Anneliese nicht mehr hungern, ihre Menschenfreundin half ihr durch den Schnee.

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